Thomas Putze – Die Schrecken des Eises und der Finsternis - Performance
25.01.2014
Zurück zur ÜbersichtPinguinkolonie, Wachholder, Tusche, 3 verschiedene zwischen 8 bis 12 x 5 x 4 cm je 250,- (klein) 350,- (groß)
Kopfüber, Tusche, Lack auf Papier, 50 × 70 cm
Pinguine auf Eisschollen, Tusche, Lack auf Papier, 50 × 70 cm
Pinguin auf Eisscholle mittel, Wachholder, Tusche, Glas, ca. 13 x 15 x 13 cm
„All a man needs is a good guitar and a dark road.“ Bob Dylan
Sich als Pinguin verkleiden, dem Körper wie einer Plastik Material zufügen, in einen schweren schwarzen Gummischlauch schlüpfen, sich an der Wand reiben, bis sich ein weißer Bauch abzeichnet, auf Eisschollen hüpfend Blues spielen und dabei im Rhythmus mit dem am Gitarrenkopf befestigten Wischmopp das Schmelzwasser aufwischen. So ausgestattet wird man auch unter seinesgleichen einsam und fühlt sich ausgesetzt. Was treibt mich an, mich von der Gemütlichkeit eines durch Übereinkünfte flauschig weichen Umfelds zu verabschieden, um das Ab- oder gar Jenseitige zu suchen? Vielleicht nur der Argwohn gegenüber der eigenen lauen Zufriedenheit oder glaube ich noch an tatsächliche Entdeckungen, die ich machen könnte? Sind die weißen Flecken auf meiner Weltkarte die Chance für neue Lebensräume oder nur Schimmelflecken, die vergangene Abenteuer überwuchern?
Ob die Form der Performance als Instrument der Wahrheitsfindung taugt, hängt von meinem Mut ab, den Augenblick überhand nehmen zu lassen und Vorbereitetes notfalls über Bord zu werfen, um in der Spannung zwischen einsamem Akteur und Publikum etwas Energie und Erkenntnisse für das Weiterkommen zu gewinnen. Gleichzeitig entscheidet auch der einzelne Betrachter, der in der Überzahl zum Publikum wird, durch seine Aufmerksamkeit, ob der Augenblick so bedeutend werden kann, dass er es wert ist, ein Aktions-Kunstwerk, ein temporäres körper- und raumabhängiges Bild geheißen zu werden. Wenn alle Beteiligten sich darauf einlassen, könnte es magisch und gleichzeitig amüsant werden. Thomas Putze
Einführung zur Performance „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Thomas Putze von Dr. Kathrin Reeckmann, 25.01.2014
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn Sie eine unserer Vernissagen verpassen, dann ist das schade, weil Sie den Künstler nicht kennenlernen können, aber es bleibt Ihnen der Trost, dass die Kunst ja erst einmal da ist und Sie bestimmt noch eine Gelegenheit finden, wenigstens diese kennenzulernen und im Katalog weiterführende Infos und Bilder zu finden.
Heute ist das anders: Eine Performance ist die vergänglichste Kunstform überhaupt – sie existiert nur im Moment ihrer Darbietung. Sie, die Sie heute so zahlreich erschienen sind, wissen das. Sie haben sich von Frühstückstisch und Zeitung losgerissen und sich durch die Kälte aufgemacht zum Ort der Expedition, die der Künstler Thomas Putze mit uns zusammen unternehmen wird.
Eine Performance ist immer eine Expedition:
Eine Entdeckungsreise in eine entlegene und unerforschte Region. Welche weißen Flecken auf welcher Karte hat Thomas Putze im Sinn und wie hoch ist das Risiko des Scheiterns? Expeditionsleiter Putze hat hinreichend Erfahrungen in seinem Metier. Schon lange begleitet er seine Ausstellungen mit Performances, in die seine Erfahrungen als Zeichner, Bildhauer, Musiker, Bergsteiger, Theologiestudent, Pädagoge und Mensch einfließen. Er hat Preise dafür erhalten, er hat sein Publikum zu Mittätern gemacht, er hat es verwirrt und zu spontanen Hilfsaktionen und Verbesserungsvorschlägen verleitet.
Eine Performance ist immer eine Aktion eines Künstlers, die nur er selber durchführen kann:
Er hat sie für eine ganz bestimmte Situation entwickelt hat, sie ist also ort- und zeitbezogen. Medium der Aktion ist der Künstler selber. Er spielt keine Rolle, stellt keine Person dar, er spielt kein Theater und kann keine Aktion wiederholen, sondern er ist quasi sein eigener Werkstoff und sein eigenes Kunstwerk. Er erzählt keine Geschichte, sondern er setzt sich einem Versuch aus. Er sucht bewusst Grenzsituationen (diese können absurd, verwirrend, beängstigend, komisch sein), von denen er sich Erfahrungen, Reaktionen und Denkanstöße für sich und sein Publikum erhofft.
Performances sind heute fester Bestandteil des Kunstlebens, die wie keine andere Kunstform von der Digitalisierung unseres Zeitalters profitiert.
Wurde im Action Painting etwa eines Jackson Pollock in den 1950er Jahren der Herstellungsprozess des Kunstwerks zum Thema der Kunst, so wurden etwa in den Happenings der 1960er Jahren Künstler und auch das Publikum Teil des Geschehens, bevor die Performance in den 70er Jahren zur breit praktizierten Kunstform wurde. Mit der großen Retrospektive der Künstlerin Marina Abramovic vor zwei Jahren im Museum of Modern Art in New York ist die Performance endgültig in den Kanon der Kunstgeschichte eingegangen.
Bei Thomas Putzes Performance heute werden Sie Elemente seiner bildhauerischen Arbeit wiedererkennen – etwa die Kombination verschiedener Materialien innerhalb einer Skulptur, sie werden die Hülle wiedererkennen, die manche seiner Figuren schützt aber auch einengt, sie werden eines seiner bevorzugten Motive – den Pinguin – wiederkennen, sie werden auch den manchmal verzweifelten Humor des Humanisten Thomas Putze wiedererkennen, mit dem er um das Quäntchen Wahrheit kämpft, das er zum Weitermachen braucht.
Die Skulpturen und Performances von Thomas Putze sind Selbstversuche, deren Ziel immer Erkenntnis ist. Ein Ausstellungsbesucher beschrieb seine Wirkung kürzlich einmal so: „Erst denkt man, oh wie lustig oder nett, aber dann wird es gleich existenziell und man muss an die ganz großen Themen ran.“
Die ganz großen Themen, das ist das Spezialgebiet von Expeditionsleiter Thomas Putze. Zum Beispiel die Frage, die sich uns allen spätestens ab ca. 45 Jahren immer wieder stellt, die nach dem Sinn des Lebens: Wofür mache ich das alles hier? Welche Ziele habe ich? Sind sie der Mühe wert? Bedeuten Sie mir noch etwas? Brauche ich neue? 0der metaphorisch gefragt: Wofür durchlebe ich – um auf den Titel dieser Veranstaltung zu kommen – die Schrecken des Eises und der Finsternis? Wofür, so fragt sich der Leser des Buches von Christoph Ransmayr, wofür plagten sich die Mitglieder der österreichisch-ungarischen Arktis-Expedition in 1870er Jahren unter unmenschlichen Bedingungen zwei Jahre lang ab? Um neues Land zu entdecken, das sie zu Ehren ihres Herrschers Kaiser-Franz-Josef-Land nannten – eine felsige Inselgruppe im Ewigen Eis, lebensfeindlich und abweisend. Derangierte Seelen, unvorstellbare körperliche Qualen für ein bisschen Ruhm, der schnell verfliegt, für die nationale Ehre, die im wirklichen Lebens spätestens auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges beerdigt wurde. War es das wert? Die schönsten Pointen schreibt das Leben: Der ehrgeizige, ja fanatische Anführer der Expedition legt schon wenige Jahre nach seiner Rückkehr keinen Wert mehr auf die Entdeckung unbekannter Länder und wird – und das ist wirklich passiert – Maler! Sein Ruhm als Maler arktischer Szenerien übersteigt den des Forschers bei weitem, ist dauerhafter und greifbarer. Als alter Mann gibt er Ehrungen und Orden zurück und sehnt sich ins Ewige Eis als dem Ort der Ruhe und des Nichts zurück.
Thomas Putze hat diese Chronik des Scheiterns und des Suchens zum Titel seiner Performance gewählt: Auch er verlässt seine Komfortzone und begibt sich auf eine Expedition ins Abseitige, ins Absurde. Welche Erkenntnisse er gewinnen wird, ist offen. Wir sollten uns seiner Reise anschließen, sollten uns einlassen auf seine Versuchsanordnung, sollten vordergründiges Nützlichkeitsdenken nicht zulassen und einfach nur dabei sein. Thomas Putze sagte es in einem Interview einmal so: „Ohne Hingabe keine Lust und damit auch keine Kunst. Wenn sich diese Lust oder auch der Spaß auf das Publikum als Energie übertragen und Gefühle und Gedanken in Bewegung kommen, bin ich zufrieden.“ Nutzen Sie also diese Gelegenheit! Lassen Sie ihre Gewissheiten hinter sich und nehmen Sie teil an seiner Expedition. Es lohnt sich ganz bestimmt!
Dr. Kathrin Reeckmann, 25.01.2014