Maike Gräf – Weder Schwarz noch Weiß
12.04. – 14.09.2013
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Weder Schwarz noch Weiß? Das stimmt doch nicht! Die Figuren sind doch schwarz und weiß! Gut, einige sind zum Teil auch bunt, im Großen und Ganzen aber sind Schwarz und Weiß die bestimmenden Farben, dazu kommt die natürliche Farbe des Materials Holz.
Da ist Nõ, ihre meditative Körperhaltung mutet asiatisch an, macht sie Schattenboxen oder eine Karateübung? Da ist der kleine Play Boy, dessen Gesichtszüge aus Quadraten und Kreisen bestehen, er geht herausfordernd und angriffslustig mit Zeigefinger und Penis auf den Betrachter zu.
Die schwarz-weiße Farbe verleiht den Figuren Zeichenhaftigkeit, die schwarz gezeichneten Kanten und weißen Flächen wirken wie zweidimensionale Skizzen. Schwarz und Weiß, Skulptur und Zeichnung, das scheinen nicht die einzigen Gegensätze zu sein.
Die Figuren lassen an Comic-Stripes, Pop-Art und japanische Mangas denken aber auch an Kultfiguren, sie erscheinen im Moment der Bewegung und fordern heraus, reizen, machen an, sie können sich auch zurückziehen, nicht mehr extrovertiert sein, sondern in sich versunken, die Bewegung ist gleichzeitig Meditation und kraftvolle Leidenschaft.
Wer sich vermeintlich an Spielzeug erinnert fühlt, erlebt eine Täuschung, die sexuell aufgeladenen Figuren verführen den Betrachter auch in der Materialität, was leicht erscheint, ist tatsächlich ein massives Stück Holz.
In ihrer ersten Einzelausstellung in der Stern-Wywiol Galerie entführt uns die Berliner Künstlerin Maike Gräf, geb. 1976, in eine Welt der Gegensätze, Widersprüche und Täuschungen. Die klassische Bildhauergestalt der Figura Serpentinata steht im Gewand von heute vor uns, frech und verspielt, still und rätselhaft, erst nach längerem Hinschauen erschließt sich ihre ganze Vielfalt.
Maike Gräf spielt auf vielen Ebenen mit unserem kollektiven Kulturgedächtnis und schafft aus Vertrautem aufregend Neues.
Rede zur Vernissage der Ausstellung „Weder Schwarz noch Weiß“ Maike Gräf von Dr. Kathrin Reeckmann, 11.04.2013
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Hamburger Westen wirbt derzeit ein großes Einkaufszentrum um unsere Aufmerksamkeit. Auf großen Plakaten sind zwei attraktive junge Frauen zu sehen und darunter steht:
„Eine Welt, die uns jeden Wunsch erfüllt“
Was für ein Versprechen! Was für große Worte für eine Ansammlung von Einzelhandelsgeschäften, die Kleidung, Schuhe und Elektronikartikel anbieten.
Überall begegnen wir heute dem Stilmittel der Überzeichnung, der Emotionalisierung, der Eventisierung selbst alltäglichster Verrichtungen wie Einkaufen oder Essen. Diese Marketingtechniken haben längst den Alltag vieler Menschen erreicht, sei es in der Berichterstattung der Medien, in der Schnelllebigkeit von Trends oder in unseren Erwartungen an das Leben generell.
Auch Maike Gräfs Figuren machen keine halben Sachen:
• Die Riesenbabys des Friedlichen Kriegsspielzeugs sind so neugierig, angstfrei und souverän, wie man es sich besser nicht wünschen kann
• Der Playboy macht seinem Gegenüber eindeutige Avancen und lässt dabei jedermann vor Neid erblassen
• Der Vamp stellt seine Reize zur Schau in klassischer Pose, die keine seiner Geschlechtsgenossinen jemals so hinbekommen könnte.
In ihrem Wörtlich-Nehmen von Begriffen, Redewendungen und Vorstellungen/Versprechen sind Maike Gräfs Skulpturen legitime Nachfahren der Pop-Art, wie wir sie seit den 1960er Jahren kennen. Gleichzeitig sind sie nur heute denkbar: Die Künstlerin schöpft mit vollen Händen aus dem Bildfundus unserer heutigen globalen Konsum-Kultur, in der alles immer sofort (zumindest virtuell) verfügbar ist. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass der Kosmos der Maike Gräf nur die Jugend kennt? Niemand hat hier Zeit für einen Aufschub, alle Bedürfnisse müssen sofort gestillt werden. Ihre Figuren leben, als gäbe es kein Morgen, und doch ist ihnen allen der Hinweis auf ihre Sterblichkeit eingeschrieben mit den baby- oder greisenhaften, kahlen Köpfen und ihrer fragilen, skelett-ähnlichen Körperlichkeit.
Maike Gräfs Skulpturen sind zeitgenössisch, aber auch uralt: Sie verstehen es, die Dinge so verkürzt, kompakt und prägnant zu verbildlichen, weil sie genauestens beobachtet und maßlos überzeichnet sind. Darin ähneln sie – formal wie inhaltlich – Comicfiguren, die von Superman bis zum ewigen Looser alle Facetten menschlicher Existenz auf den Punkt bringen. Comic, Cartoon und Graffiti gehören zu den innovativsten Ausdrucksweisen unserer Zeit. Knapp und prägnant sprechen sie eine eigene Sprache. In der mal grotesk, mal bedrohlichen, mal kindlichen Zuspitzung ihrer Charaktere, in der bewussten Überzeichnung der Formen und Proportionen oder in der expressiven Körpersprache sind Maike Gräfs Skulpturen genauso wie viele Comics letztlich archaischen Ursprungs und zeigen, wie alt unsere Wahrnehmungsmuster eigentlich sind: Vergleichen Sie das etwa mit Höhlenmalereien, mit Steinzeitkunst wie der Venus von Willendorf oder mit Fetischen und Masken.
Die Darstellung der menschlichen Figur in Holz dürfte eines der ältesten Themen der Kunst überhaupt sein. Die roh, ja vordergründig kunstlos belassene Formensprache von Maike Gräfs Skulpturen spricht von der Mühsal, dem spröden Material eine Form abzuringen. Wir sehen die Spuren des Werkzeugs wie Kettensäge und Stechbeitel, schätzen die Maße des Stammes ab, aus dem die Figuren in einem Stück herausgeschnitten werden. Maike Gräf zerlegt ihre Figuren in kubisch gebrochene Einzelteile, verändert die Proportionen, betont einzelne Merkmale und lässt andere ganz weg. Die Figuren sind stets allansichtig gearbeitet, nehmen den umgebenden Raum in ihren Besitz und haben dadurch manchmal fast etwas denkmalhaftes.
Maike Gräf ist eine Virtuosin, die ihre perfekte Material- und Formbeherrschung nutzt, um sie dann durch eine dicke Lackschicht zu überdecken.
Statt eindeutiger Gewissheiten täuscht sie an. Sie lässt das natürliche Material künstlich, ja billig aussehen, um im nächsten Augenblick die gewachsene Materialität zu betonen, indem sie Holzfarbe, Risse und Späne stehen lässt.
All diese Gestaltungsprinzipien sehen Sie auch in den Reliefs, die Maike Gräf seit gut einem Jahr macht und die als Variante der klassischen Bildhauerzeichnung gelten können. Bildhauerzeichnungen sind so interessant, weil sie im besten Fall erhellende Kommentare zu den dreidimensionalen Werken sind. In ihren Reliefs spielt Maike Gräf mit der Perspektive, zerlegt die Körper in facettierte Einzelteile, lässt große Kraftlinien über die Fläche laufen. Sie reflektiert also ihre Arbeitsweise in den Skulpturen und führt uns gleichzeitig die Bewohner ihrer Welt wie in einer Bildergalerie vor.
Sehr verehrte Damen und Herren, wir sind stolz, als Galerie für zeitgenössische Bildhauerei jemanden wie Maike Gräf zu Gast zu haben, der so neu und alt zugleich arbeitet.
Herr Volkmar Wywiol hat dies beim ersten Treffen mit der Künstlerin sofort erkannt und hat das bei ihr bestellt, was zu den spannendsten Sujets der klassischen Bildhauerkunst gehört: Einen Liebesakt. Wir haben die Ehre, das jüngste Werk der Künstlerin erstmals in der Öffentlichkeit zu präsentieren: Verliebt verholzt, fertig geworden vor drei Wochen.
Die eingangs erwähnte Verheißung von der Welt, die uns jeden Wunsch erfüllt, wird hier aus der Perspektive der klassischen Mythologie betrachtet: Dargestellt ist die Geschichte von Apoll und Daphne: Apoll verspottet den Liebesgott Eros als schlechten Schützen und dieser rächt sich auf seine Weise: Er trifft Apoll mit einem Pfeil, der ihn unsterbliche Liebe zu der Nymphe Daphne fühlen lässt. Daphne hingegen wird von einem Pfeil getroffen, der das genaue Gegenteil bewirkt. In der Folge bedrängt Apoll Daphne auf das Heftigste. Schließlich ist diese so erschöpft von den Nachstellungen, dass sie ihren Vater Peneios anfleht, ihre den Apoll so erregende Gestalt zu ändern. Der Vater kommt diesem Wunsch nach und verwandelt die Tochter in einen Lorbeerbaum. Die Radikalität der Wunscherfüllung lässt an Oscar Wilde denken, der bemerkte: Wenn die Götter uns strafen wollen, erhören sie unsere Gebete.
Maike Gräf nähert sich dem Thema auf ihre Weise: Sie interpretiert die Geschichte in der ihr eigenen Energie, lässt Apoll ans Ziel seiner Wünsche kommen und Daphne ebenso. Wo Ovid die Details offen lässt, nimmt sie die Vereinigung an, deren Drastik den Kenner antiker Sagen keinesfalls verwundert. Maike Gräf erschafft aus dem Holz eine Kunst und lässt diese dann wieder zum Holz zurückkehren – Ovids Geschichte verschmilzt hier in verblüffender Folgerichtigkeit mit dem künstlerischen Ansatz der Künstlerin.
Meine Damen und Herren, über diese Skulptur könnte ich Ihnen stundenlang Vorträge halten. Aber wir haben heute Abend die Künstlerin zu Gast – also nutzen Sie die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch, fragen Sie, diskutieren Sie und lernen Sie den Kosmos der Maike Gräf kennen, den wir Ihnen heute Abend in verschwenderischer Fülle präsentieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.