Thomas Putze – Hals über Kopf
27.09.2013 – 15.03.2014
Zurück zur Übersicht- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
- Ausstellungsansicht
Hals über Kopf stürzen sich Thomas Putzes Figurenerfindungen ins Leben – obwohl sie sich nur aufrecht halten können, weil sie sich ein Seil zwischen die Beine klemmen, wie Ecce Homo, oder nur gebeugt laufen können wie die Geknickte oder viel zu dünne Beine für ihren massigen Körper haben wie der Mops. Selbstbewusst stellen sie sich ihrem Schicksal entgegen, behaupten sich und lassen offen, ob die vermeintlichen Ersatzteile ein Handikap oder ein Hilfsmittel darstellen. Ähnlich ambivalent sind auch die Affen in Käfigen. Die Gorillas und Gibbons spielen mit den Gittern, basteln sich neue Wege oder schieben sie einfach weg. Sind die Gitter Spielzeug, Stütze oder Gefängnis? Beobachten wir die Tiere oder sie uns?
In seiner ersten Einzelausstellung in der Stern-Wywiol Galerie konfrontiert uns der Stuttgarter Künstler Thomas Putze, geb. 1968, mit seinen Mischwesen aus Holz und Zivilisationsabfällen. Was auf den ersten Blick burlesk erscheint, verweist auf den zweiten Blick auf eine Auseinandersetzung mit philosophischen und kunsttheoretischen Fragen und stellt eine intelligente und humorvolle Gesellschaftsanalyse dar.
Thomas Putzes Blick ist dabei auf das Tier und den Menschen gleichermaßen gerichtet, deren Verletzlichkeit er genauso sichtbar macht, wie den Willen und den Kampfgeist, mit denen jede Kreatur den Ansprüchen und Erwartungen des Lebens gerecht zu werden versucht.
Rede zur Vernissage der Ausstellung „Hals über Kopf“ Thomas Putze von Dr. Kathrin Reeckmann, 26.09.2013
Wenn Sie sich hier in Galerie umschauen, meine Damen und Herren, werden Sie Gegenstände unterschiedlichster Herkunft entdecken: Feuerwehrschlauch, Skischuh, Baustahl, Betonbrocken, Hantelgewichte, Gummimuffen, Heizlüfter, Küchengerätschaften, Besen, Kabelbinder – es gibt nichts, was TP nicht gebrauchen könnte für seine Figurenerfindungen. Genaugenommen sind es Hybriden, die er erschafft – halb Skulptur und halb Plastik. Sie entstehen in klassischer skulpturaler Arbeit, bei der der Künstler aus dem Holz eine Form herausarbeitet (lat. sculpere schneiden) als auch in plastischer Arbeit (griech. plakstike die geformte Kunst), bei der Materialien additiv zusammengefügt werden. In unserer Ausstellung können Sie von der reinen Skulptur (Orang Utan, Kauz, Herkules) über die genannten Mischwesen bis zum Ready-Made (einer Schneeeule, die einmal ein Heizlüfter war) alle Spielarten der Putzeschen Bildhauerei finden.
Mit unvoreingenommenem Blick erfasst Thomas Putze die gestalterischen Möglichkeiten der vorgefundenen Alltags-Materialien. Er schafft neue Zusammenhänge und Funktionen, ohne die ursprünglichen zu verbergen. Genauso arbeitet er mit dem Werkstoff Holz, dem man auch bei der fertigen Arbeit seine Herkunft und seine spröde Materialität ansieht – etwa, wenn er Bauholz verwendet. Es ist ein Sich-Anpassen an das Vorgefundene, ein Erspüren der Möglichkeiten, ein Sich-Zurücknehmen als Gestalter. In dieser Beziehung ist Putzes Kunst mit der arte povera und zeitgenössischer junk art verwandt. Auch Picasso, der in kargen Kriegszeiten aus Alltagsgegenständen Assemblagen wie den Stierkopf oder den Mann mit Ziege fertigte, gehört in diese Ahnenreihe. „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist.“ So formulierte es Robert Rauschenberg, so könnte man es auch für Thomas sagen.
Im Werk von Thomas Putze sind Darstellungen von Tieren omnipräsent. Das ist ungewöhnlich in der zeitgenössischen Kunst und es wäre spannend zu erörtern, warum dies so ist. Thomas Putze jedenfalls hat einen ganz besonderen Zugang zu unseren Mit-Geschöpfen:
In seinen Tierdarstellungen stellt Thomas Putze Individuen dar, die zunächst einmal auf nichts verweisen als auf sich selbst.
Die Darstellung der Tiere basiert auf genauem Naturstudium (Thomas Putze besitzt eine Dauerkarte für den Stuttgarter Zoo) und seinen Skizzen die er vor Ort anfertigt.
Putze hat einen genauen Blick für Anatomie, Bewegung und Verhaltensweisen seines Gegenübers und versucht, das andere Ich möglichst vorurteilsfrei zu erfassen. Vermenschlichung ist dabei nicht gefragt.
Für TP ist das Tier der andere Teil vom Ganzen, der andere Teil der Schöpfung, den der Mensch braucht, um seine eigene Position zu bestimmen, um sich selbst zu erkennen. Das meinte letztlich auch Loriot mit seiner Aussage, ein Leben ohne Mops sei möglich, aber sinnlos.
Thomas Putze interessiert sich vor allem für nicht domestizierte Tiere, die nicht zu unserer unmittelbaren Wirkungssphäre gehören. Dadurch schafft er jenen Abstand zu uns selbst, der Voraussetzung jeder Reflexion ist. Der Affe als unser nächster Verwandter im Tierreich ist fern und ähnlich zugleich und ist in dieser Eigenschaft eine zentrale Figur in Putzes Werk.
Seine Tierfiguren erscheinen uns stets als autonomes Gegenüber, sie brauchen weder Hilfe noch Beachtung. Vor allem bei Tieren wie den Affen und Pinguinen, denen wir hierzulande nur im Zoo begegnen, wird dies deutlich: Sie sind nur für sich selber da und reagieren nicht auf uns. Ihr Selbstbewusstsein lässt uns fast wie Voyeure erscheinen; sie wirken so frei und sind so ganz bei sich, dass wir uns unwillkürlich fragen müssen, wer eigentlich im Käfig sitzt, sie oder wir.
Als Wesen, die kulturellen Zwängen gehorchen, leiden Putzes Menschen naturgemäß mehr unter den Zwängen ihrer Spezies. Sie sind in oft in Paar- oder Gruppenarrangements dargestellt. Sie müssen sich in Rohre zwängen lassen, müssen mitmachen beim Tun der Gruppe. Sie bekommen oder brauchen keinen emotionalen Sicherheitsabstand zu ihrem Nachbarn. Selten sind sie so siegessicher und lässig wie die Angreiferin oder die Beachvolleyballerin. Sind Frauen die besseren Männer? Oder Tiere die besseren Menschen?
In ihrer traumwandlerisch sicheren Fähigkeit, eigene Unzulänglichkeiten zu kompensieren oder Bedürfnisse zu befriedigen, sind Thomas Putzes Kreaturen beneidenswerte Geschöpfe: Virtuos nutzen Mensch und Tier das Liegengebliebene, das Weggeworfene, den Müll. Sie ersetzen fehlende Körperteile (Rindvieh, Mops) oder finden einen Gefährten, der sich als Gebrauchsgegenstand tarnt (Schneeeule). Sie sind Meister der Improvisation (Taucher, Ecce homo), schmücken sich wie die Schnalle mit einer Schischuhschnalle und nutzen eine zweite, ihren versehrten Körper in Form zu halten. Die Tiere eignen sich problemlos Dinge einer anderen Welt (Zivilisation) an und integrieren sie in ihre eigene (Wildnis); Flexibilität und Lernfähigkeit sind die Eigenschaften, mit denen man in einer sich verändernden Welt überlebt – im Zeitalter der Globalisierung so wichtig wie lange nicht mehr.
In dieser Hinsicht gleichen Putzes Tiere den Wildschweinen, Füchsen, Mardern, Falken und Bussarden, die gerade unsere Städte zurück erobern. Die Wildnis lebt! Alte Vorstellungen vom Paradies werden wach – zeitgemäß uminterpretiert mit dem Wildtier als Unterlegenem (Lamm) und dem Menschen als gefährlichem Raubtier (Löwe).
Paradiesisch fühlt sich das Putzesche Universum nicht an, dafür ist das Leben dort zu mühselig. Aber seine Bewohner leben gleichberechtigt nebeneinander, sind gleichberechtigte Kreaturen, die sich dem Leben und seinen Zumutungen tapfer stellen. Menschen wie Tieren gehen kreativ mit ihren Handicaps und Beschränkungen um. Sie nehmen die Herausforderung an, die es bedeutet, ein freies Wesen zu sein – Voltaire formulierte es so: „Das Paradies auf Erden ist dort, wo ich bin“.
Mir bleibt an dieser Stelle nur die Aufforderung an Sie, sich in unserem behelfsmäßigem Paradies umzuschauen und seinen Schöpfer kennenzulernen. Außerdem darf ich Ihnen schon Lust machen auf unsere Midisage, bei der Thomas Putze, der nicht nur Bildhauer, sondern auch wunderbarer Performance-Künstler ist, unsere Galerie als einen Kunstraum am Wasser zum Thema nimmt. Das wird spannend, ich verspreche es Ihnen. Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf den Zeichner Thomas Putze aufmerksam machen. Wir haben drei Tusche-Zeichnungen ausgestellt, aber noch viel mehr hier in der Galerie. Wenn Sie also noch einmal wiederkommen mögen, legen wir Ihnen gern die Mappe vor und zeigen Ihnen weitere Arbeiten. Nehmen Sie auch gern Katalog und Preisliste mit nach Hause.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend. Danke.
Dr. Kathrin Reeckmann, 26.09.2013